Prof. Dr. Hermann Simon: Mr. Hidden Champion

Prof. Dr. Hermann Simon: Mr. Hidden Champion

Wohl niemand hat mehr Expertise zu diesem Thema als er: ein Gespräch mit Prof. Dr. Hermann Simon über die deutschen Hidden Champions heute, zukunftsträchtige Nischen und Nachholbedarfe gegenüber den Chinesen
23.04.2025von Stefanie Hütz

Ohne ihn gäbe es wahrscheinlich dieses Portal nicht. Denn der frühere Wirtschaftsprofessor prägte den Begriff der Hidden Champions und rückte die besonderen Unternehmen mit seinen Forschungen von Beginn der 90er Jahre an erstmals ins Rampenlicht. Prof. Dr. Hermann Simon ist Gründer und Ehrenvorsitzender der Unternehmensberatung Simon-Kucher. Er ist Buchautor, gefragter Redner und als weltweit anerkannter Management-Vordenker in der „Thinkers50 Hall of Fame“. Im Interview lässt er uns an aktuellen Marktentwicklungen und seinem durchaus optimistischen Blick in die Zukunft teilhaben.

HC: Wie sind Sie damals dazu gekommen, sich so dezidiert mit Hidden Champions zu beschäftigen?

Prof. Dr. Hermann Simon: 1987 besuchte mich Harvard-Professor Theodore Levitt, der 1983 den Ausdruck Globalisierung durch einen vielbeachteten Artikel in der „Harvard Business Review“ populär gemacht hat. Er stellte mir die Frage, warum die Deutschen im Export so erfolgreich sind. 1986 waren wir gerade das erste Mal Exportweltmeister geworden. Die Frage ließ mich nicht los. Spontan denkt man: Der Erfolg muss in Großunternehmen wie Siemens, BMW, Daimler, BASF und Co. begründet sein. Ich war damals noch Wirtschaftsprofessor und habe Studenten mit Diplom- und Doktorarbeiten zu diesem Thema betraut. Daraufhin wurde deutlich, dass ein großer Teil der Export- und Wirtschaftsstärke auf den mittelständischen Welt- und Europamarktführern beruht, die aber kaum jemand kennt. 1990 nutzte ich zum ersten Mal den Ausdruck Hidden Champions. Wir fanden heraus, dass 40 Prozent aller globalen Hidden Champions aus Deutschland kommen, kein Land der Welt hat mehr, und genau diese Unternehmen sind das Rückgrat unserer Wirtschaft.

Gefragter Redner: Prof. Dr. Hermann Simon.

Gefragter Redner: Prof. Dr. Hermann Simon.

HC: 2020 haben Sie letztmals genaue Zahlen veröffentlicht, darunter die, dass es 1.573 Hidden Champions in Deutschland gibt. Wie ist die Entwicklung seitdem?

Prof. Dr. Hermann Simon: Die Zahlen haben sich nicht stark verändert. Aktuell zähle ich hierzulande 1.602 Hidden Champions, von rund 4.000 weltweit. Manche Unternehmen sind weggefallen, andere hinzugekommen. Spannend ist der Blick auf die Eigentümerstruktur. Etwa 70 Prozent der deutschen Hidden Champions sind nach wie vor rein private Familienunternehmen, etwa 10 Prozent sind an der Börse notiert, wobei auch in diesen Fällen die Familie meist noch die Mehrheit und damit das Sagen hat. 10 Prozent sind Teile von Konzernen und weitere 10 Prozent im Eigentum von Private-Equity-Firmen. Das Phänomen gab es vor 30 Jahren in Deutschland noch nicht. Der Durchschnittsumsatz der deutschen Hidden Champions liegt derzeit bei 600 Millionen Euro. Apropos: Das Umsatzkriterium hat sich im Laufe der Jahre verändert. Bei meiner ersten Definition vor gut 30 Jahren habe ich die Umsatzobergrenze für die Kategorie Hidden Champion auf eine Milliarde Euro taxiert. 20 Jahre später habe ich sie auf drei Milliarden und zuletzt auf fünf Milliarden Euro hinaufgestuft.


quote icon

Hidden Champions sind heute etwa zehnmal so groß wie 1990.

HC: Worauf ist diese Kriterien-Verschiebung beim Aspekt Umsatz zurückzuführen?

Prof. Dr. Hermann Simon: Die Hidden Champions sind unter Beibehaltung ihrer Strategie in diese Größenordnung gewachsen. Sie sind heute etwa zehnmal so groß wie 1990. Derzeit erwäge ich sogar, die Grenze – der Entwicklung folgend – auf 10 Milliarden Euro weiter nach oben zu verschieben. Man muss das Ganze auch im Verhältnis zu den großen multinationalen Konzernen betrachten. Laut „Fortune Global 500“ liegt der Durchschnittsumsatz der 500 größten Unternehmen der Welt bei 84 Milliarden Euro, die kleinste dieser Firmen erzielt 32 Milliarden Euro Umsatz. Das ist eine ganz andere Größenordnung als die der Hidden Champions.

quote icon

Ich bin sehr optimistisch, was die Überlebensfähigkeit und das weitere Wachstum der Hidden Champions angeht.

HC: Der globale Wettbewerb wird immer anspruchsvoller. Werden die deutschen Hidden Champions ihren Erfolgskurs fortsetzen können?

Prof. Dr. Hermann Simon: Das ist differenziert zu betrachten, nicht zuletzt muss man den Blick darauf richten, ob ein Hidden Champion in einer Sunset- oder Sunrise-Sparte aktiv ist. Wenn man als Automobilzulieferer auf Kolben oder Zylinderkopfdichtungen spezialisiert ist, während der Verbrennungsmotor an Bedeutung verliert, gilt es, sich unternehmerisch neu zu erfinden. Insgesamt bin ich aber sehr optimistisch, was die Überlebensfähigkeit und das weitere Wachstum der Hidden Champions angeht. Sehr viele dieser Unternehmen sind an der Front der Innovation. Unsere Märkte sind außerdem die B2B-, die Industriemärkte, nicht die Konsummärkte. Sie sind geprägt von komplexen industriellen Produkten und Prozessen, die sich nicht leicht nachahmen lassen und in denen es genügend Wachstumschancen gibt. Wer weiß schon, dass 767 Apple-Zulieferer aus Deutschland kommen?

Was ebenfalls wichtig ist: Kein anderes Land hat Firmen dieser Größenordnung, die global so präsent sind. Viele der Hidden Champions sind in mehr als 50, manche in mehr als 100 Ländern mit eigenen Tochtergesellschaften tätig. Dieser Aspekt wird mit den ganzen Handelsbeschränkungen und Zollthematiken gerade noch wichtiger.

Das jüngste Buch von Prof. Dr. Hermann Simon.

Das jüngste Buch von Prof. Dr. Hermann Simon.

HC: Wo sehen Sie Handlungsbedarf, und wo liegen die größten Herausforderungen?

Prof. Dr. Hermann Simon: Die größte Herausforderung in Deutschland sehe ich in der Bürokratie. In welcher Weise gerade Mittelständler behindert werden, etwa durch Lieferketten- oder Zeiterfassungsgesetz und was noch alles erfunden wurde, ist unerträglich.

Eine Schwäche bei uns besteht zudem in der Integration von Wissenschaft und Marktumsetzung. Ich bin regelmäßig in China. Die Erfolge der Chinesen bei neuen Produkten, bei Künstlicher Intelligenz und in der Elektromobilität, die kommen nicht wie ein Komet aus dem Blauen, sondern sind begründet in einer enorm starken wissenschaftlichen Basis und sehr praxisnaher angewandter Forschung. Es ist unglaublich, wie viele Institute es dort auf allen Gebieten gibt, beispielsweise auch zu Biotechnologie, Medizintechnik, Gesundheit. In Deutschland gibt es aus meiner Sicht leider zu viel Weltfremdheit in den Hochschulen und Forschungsinstituten. Es fehlen die Bedarfsorientierung und die realistische Einschätzung der Marktherausforderungen.

Ein weiteres Manko ist, dass wir zu wenig Menschen haben, die Unternehmer werden wollen. Ich wohne in Bonn. Die Universität Bonn hat sechs Exzellenzcluster. Darunter sind viele Bereiche mit hohem Potenzial für Innovation – Life Science etwa oder Informatik. Die Bonner gewinnen jedes Jahr die Weltmeisterschaft im Roboterfußball. Wieso gibt es keine Robotikfirma in Bonn? Das scheint ein tiefsitzendes gesellschaftliches Problem zu sein. Die jungen Leute bleiben lieber im Forschungsinstitut oder gehen zu großen Firmen wie SAP oder Siemens.

HC: Mit Blick auf die Hidden Champions lautet eine Ihrer Thesen: „Nur Fokus führt zu Weltklasse“ …

Prof. Dr. Hermann Simon: Ja, um Hidden Champion zu werden, kommt es auf drei Pfeiler an: erstens auf die Kompetenz und die Ambition, auf dem eigenen Gebiet das Top-Unternehmen werden zu wollen. Zweitens den besagten Fokus, aber Fokus macht einen Markt klein. Daher kommt es drittens auf die regionale Expansion an, die sich aber meist natürlich über Jahrzehnte erstreckt. Wir bei Simon-Kucher haben 48 Büros in 32 Ländern, aber wir bestehen immerhin seit 40 Jahren. Hidden Champion wird man nicht von heute auf morgen.

quote icon

Gerade die deutschen Serviceexporte wachsen, was kaum beachtet wird.

HC: In welchen Bereichen erkennen Sie Chancen für künftige Hidden Champions?

Prof. Dr. Hermann Simon: In industriellen Prozessen mit KI-Einsatz, Quantencomputing, Energie durch Kernfusion sowie anspruchsvollen industriellen Dienstleistungen. Planung, Überwachung, Zertifizierung, Knowledge-Transfer, Logistik, Industrie- und Rückversicherungen – gerade die deutschen Serviceexporte wachsen, was kaum beachtet wird. Ein gewisses Maß an Deindustrialisierung schadet uns also nicht. Wir sind sowohl bei Waren- als auch bei Dienstleistungsexporten die Nummer 3 in der Welt. Das ist und bleibt angesichts von Platz 19 bei der Bevölkerungszahl beachtlich.

Hidden Champions in Deutschland

Hidden Champions in Deutschland

Unsere Karte zeigt, wo Innovation und weltweiter Erfolg auch abseits der Metropolen stattfindet.

Hidden Champion hinzufügen

Hidden Champion hinzufügen

Nehmen Sie mit uns Kontakt auf, wenn Sie einen Hidden Champion kennen und dieser bisher nicht bei uns aufgelistet wird.

Wir bringen Hidden Champions ins Rampenlicht.